Italia, Amore mio
(Diesen Beitrag bitte mit “Ton an” lesen, musikalische Untermalung, sehr italienisch)
Meine Liebe, Italien, was ist nur los mit Dir?
Da bricht einfach so eine Autobahnbrücke zusammen, nein es waren in den letzten Jahren insgesamt 3 Brücken mit Toten und Verletzten. Nur diese hier war grösser, länger und es gibt sehr viel mehr Tote. 600 Menschen, die unter der Morandi-Brücke wohnten, sind am “Ferreagosto” wohnungslos. Es ist diese eine Woche im Jahr, rund um Maria-Himmelfahrt (15. August), in der ganz Italien Ferien macht, meist am Meer mit Freunden und Verwandten, es wird gefeiert, gegessen und getrunken. In diesem Jahr hängt zumindest über Genua der Ausnahmezustand.
Gemäss Nachrichten gibt es über 300 Autobahn-Brücken, die marode und sanierungsbedürftig sind.
Deine Politiker sind darauf bedacht so schnell wie möglich die Schuldigen auszumachen. Es ist jetzt schon ein Hickhack an Schuldzuweisungen. Die einen geben der EU die Schuld, die anderen den Politikern, die jetzt an der Macht (5-Sterne) sind, weil sie schon vor 4 Jahren den Neubau der Brücke abgelehnt hatten. Die EU jedoch hat Gelder bereitstehen für den Strassenbau, niemals wurden diese angefordert. Klar der Ingenieur war es und natürlich auch der Autobahnbetreiber.
https://www.nzz.ch/meinung/nach-dem-brueckeneinsturz-droht-die-lynchjustiz-ld.1412098
Adria
Amorie mio, wir kennen uns nun seit gut 60 Jahren. Es hat sich viel verändert in der Zeit.
Damals Ende der 50-er Jahre fuhren wir (ich war 2-3 jährig) zum ersten Mal an die Adria (im Titelbild ein Gemälde meiner Mutter, Edith Heitz-Weise ca. 1960).
Ich lernte dort meine ersten zwei Wörter in Italienisch von einem Papagei. Er sagte jeweils “fa caldo” (es ist heiss) oder “fa freddo” (es ist kalt). Dass “caldo” “heiss” heisst, machte mir lange Kopfzerbrechen, wieso hiess das nicht “kalt“?
Ich habe mich in dich Amore mio und deine Sprache sofort verliebt. Wenn der Eismann über den Strand lief und “Gelati, Crocante, Cocomero fresco” schrie, rannte ich hin und wollte am liebsten mit ihm mitgehen, um ihm einfach nur zuzuhören. Im türkisfarbenen Meer hatte es Seesterne und Seepferdchen. Dass ich dort beinahe ertrunken bin, hatte mir nicht wirklich zugesetzt, nur die Ohrfeige, die ich dafür von meiner Mutter bekam.
Insel Elba
Als ich 5 Jahre alt war fuhren wir zum ersten Mal nach Elba. Die Insel wurde sehr bald zu meiner zweiten Heimat. Wir fuhren fast 10 Jahre lang jeden Sommer für 4 Wochen dorthin. und immer in das gleiche Hotel am selben Strand.
Nach dem ersten Aufenthalt hatte ich mich schon angefreundet mit der jüngsten Tochter der Hotelbesitzer, Graziana. Ich als Einzelkind hatte in ihr eine gleichaltrige Schwester gesehen, zumindest während der vier Wochen im Sommer.
Meine Eltern hatten eigenartige Vorstellungen im Umgang mit ihrer Tochter. So hatten sie mit den Hotelbesitzern vereinbart, dass ich im Herbst, in meinen Ferien, bei Ihnen in Trento wohnen würde, weil sie eine Reise ohne mich planten.
Trento
In diesen 2 Wochen habe ich alles gelernt über dich Amore mio. Ich durfte mit Graziana mit in die Schule, sie hatte eine Schuluniform, ich war sehr neidisch darauf. Vor Beginn ihres Schuljahres ging ich mit ihrer Mutter in ein spezielles Geschäft. Sie kaufte Federhalter, Schreibfedern, Tinte und Schulhefte und eine neue Hals-Binde zur Uniform. Für jedes Schuljahr gab es eine andere Farbe. Sie kaufte alles doppelt, einmal auch für mich.
Mamma kochte die beste Pasta der Welt. Dafür stand sie den ganzen Vormittag in der Küche, mischte Spinat, Mehl und Eier, knetete das Ganze stundenlang, legte die Masse zurück in eine Schüssel und bedeckte sie mit einer Serviette.
Kurz vor der Essenszeit machte sie von Hand kleine Nockerln ( Gnocchi) und warf sie ins siedende Wasser. Das Gericht heisst original “würge oder erhänge die Priester”, Strozzapreti oder Strangolapreti trentini.
Abends lag ich mit Graziana unter einer Decke in ihrem Bett. Sie las mir aus “Topolino” der italienischen Ausgabe von Mickey Maus vor. So lernte ich innert zweier Wochen Italienisch. Italia, amore mio, Deine Sprache war wie die (m)einer Mutter.
Das war gut so! Meine Eltern sprachen, wenn ich es nicht verstehen sollte, französisch miteinander. Mein Vater war Französischsprachiger Schweizer, meine Mutter kam aus Deutschland. Nun sprach ich italienisch, wenn sie mich nicht verstehen sollten.
Immer wieder Elba
Ich freute mich jedes Jahr auf Graziana und meine zweite Mamma.
In meiner Brust schlugen seit dem Aufenthalt in Trento zwei Seelen, eine Deutsch-Schweizerische und eine Italienische. Ich hatte die Gabe in Italienisch denken zu können, genauso wie in Französisch und Deutsch.
Ich wuchs heran und sollte bald das Gymnasium besuchen. Meine Aufsätze in Deutsch waren mangelhaft, weshalb ich über Mittag, wenn alle ihre Siesta machten, vorne im Restaurant auf der Terrasse sitzen bleiben und einen Aufsatz schreiben musste. Wir kamen seit Jahren immer mit den gleichen mittlerweile Freunden aus ganz Italien in dieses Hotel.
Wenn ich mittags so da sass und schrieb, kam jeweils Dr. L. zu mir und streichelte mir über den Kopf. Zuneigung , die ich nur selten empfing. Er nahm mich auch mit in die Werkstatt hinter dem Hotel und wir bauten Schiffe aus Holz. Was mir nicht wirklich auffiel war, dass er oft hinter mit stand und seine Badehose an mich drückte. Auch durfte ich mit ihm zum Angeln auf seinem Motorboot, er sass oft so da, dass ich Einblick in sein Badehose hatte.
Manchmal kam Graziana bevor Dr. L. da war und nahm mich mit. Dann schrieb ich meinen Aufsatz hinten bei ihr in einem Anbau aus Stroh, wo sie mittags schlief. Danach schlüpfte ich unter die Decke zu ihr und wir lasen “Topolino”.
Viele Jahre später realisierten wir, dass sie mich vor Dr. L. schützen wollte.
Als wir nach gut 10 Jahren immer noch mit den gleichen Freunden nach Sardinien fuhren und nie wieder nach Elba, war das für mich wie ein Schock. Die Trennung von Graziana und ihrer Mama zerriss mir fast das Herz. Wir haben uns erst 2004 wiedergesehen.
Amore mio
mein geliebtes Italien, was habe ich alles mit dir durchgemacht. Es gab nur bei dir und dies mehrfach sexuelle Übergriffe, die meine Mutter immer nicht erkannte und ich in meiner Ängstlichkeit und Naivität für mich behielt.
Weisst Du noch, als es kein Geld mehr gab?
Eine Zeit lang gab es keine Kleingeld mehr in Italien, da bestand das Rückgeld auf der Autobahn aus Bonbons. Mit diesen Bonbons bezahlte man dann auch die Toilettenfrau in den Raststätten, die Arme, das tut mir heute noch leid.
Amore mio
ich habe dich nie verlassen!
Ich war sogar Reiseleiterin in deinen Städten, vor allem Venedig und Genua. Meine Abschlussarbeit an der Universität Zürich in Kunstgeschichte, habe ich den Brunnen “Pozzi” von Venedig gewidmet, meine schriftliche Prüfung legte ich über romanische Kirchen in Oberitalien und den Maler Giotto ab. Meine Abschlussarbeit in Kirchgeschichte befasste sich mit San Francesco von Assisi.
Deine Sprache habe ich sprechen, lesen und schreiben gelernt. Nicht nur das, ich kenne deine Dialekte, fast alle Regionen, ich liebe dein Essen und deinen Wein. Viele Menschen habe ich in dem wundervollen Land kennengelernt und habe auch heute noch viele Freunde in Italien.
Ich habe dich durchwandert, von Assisi durch das Valle d’Umbra und von Neapel bis nach Amalfi.
Deine Lieder, deine Musik, deine “Cantautori” habe ich mitgesungen und mit ihnen alle Emotionen mit Gänsehaut erlebt. Ich habe mit dir gelacht und geweint.
Ein Lied beschreibt die ganze Italiantà am allerbesten, L’italiano ( l asciatemi cantare ) Toto Cotugno
Es gab kaum ein Jahr, in welchem ich dich nicht besucht hätte.
Was ist aus dir geworden?
Es ist schmerzlich zu sehen, Amore mio, was aus dir geworden ist. Ich kann sie nicht zählen, die vielen Regierungen, die Du in dieser Zeit erlebt hast. In den letzten Jahren hast du angefangen auseinander zu fallen. Die Menschen sind polarisiert, wie auch in anderen Ländern, es gibt öffentlichen Rassismus und ihr Italiener, weist den Migranten und Flüchtlingen, der EU und Frau Merkel die Schuld an eurem Versagen zu.
Es gab Erdbeben in verschiedenen Regionen in verschiedenen Jahren, noch immer wohnen die Menschen in Containern, trotz Versprechungen und Sanierungsangeboten. Die Gelder für den Wiederaufbau sind längst weg.
Italiener, Italiani!
Wieso tut ihr nichts? Es ist leider euer Schwachpunkt, das “etwas tun” ist nicht eure Stärke, ihr wartet seit Jahren darauf, dass etwas für Euch getan wird.
Wie sagte eine gute Freundin so schön:
“Il problema dell’ Italia, sono gli Italiani“, das Problem Italiens, sind die Italiener.
Wenn wir in den letzten Jahren nach Umbrien fahren wollten mit dem Auto, mussten wir uns das gut überlegen, die Strassen sind dermassen kaputt und haben Schlaglöcher, dass es jedes mal einen Satz neue Reifen kostete.
Ich könnte hier ohne Ende aufzählen, was alles nicht mehr gut ist. Ganz nebenbei, die Adria ist mittlerweile so verschmutzt, dass ich keinen Fuss mehr hineinsetze.
Ihr werdet niemals eine Regierung haben, die das für Euch richtet, wenn ihr nicht lernt, die Ärmel hochzukrempeln und Hand anzulegen, Eure Häuser und Strassen in Ordnung haltet, Altes und Zerfallenes wieder aufbaut, dann geht immer mehr kaputt. Ihr habe nicht gelernt Sorge zu tragen zu dem, was ihr gebaut und erschaffen habt. Alles vergammelt und verrottet, man kann dabei zusehen. Die Müllgebühren sind teuer, viel zu teuer, deshalb schmeisst man halt alles in die Umwelt.
Auf Weinflaschen aus der EU steht – und das steht nur auf Italienisch – : “Non disperdere nell’ ambiente” Nicht in die Natur werfen. Macht ihr euch keine Sorgen darüber, dass das nur auf Italienisch auf den Flaschen steht?
Es ist völlig egal, wen ihr wählt, ihr Italiener müsst stolz sein auf Euer Land und müsst zu den Dingen und eurer Umwelt Sorge tragen, ihr habt nur ein Italien.
Wenn Ihr nichts ändert, zerfällt Euer Land, Eure Kulturdenkmäler und Eure Umwelt ist versaut. Auf Italienisch sagt man : “L’Italia va a pezzi“, nach dem Brückensturz in Genua spricht es fast jeder aus, die Brücke ist Sinnbild für das ganze Land.
Wenn man etwas liebt, möchte man nicht, dass es ihm schlecht geht.
Mit diesem Artikel beginnt eine weitere lose Folge über die vielen Reisen und Erlebnisse, die ich in Italien hatte. Dieses Intro erklärt, weshalb ich eine italienische Seele habe und manchmal mit Händen und Füssen recht laut spreche, wenn mich meine Emotionen überkommen.
Ich war auch Reiseleiterin in Italien Der Engel von Venedig
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Vielen Dank! ?
Liebe Corinne
Deine Schilderungen haben mich sehr bewegt. Gerade, weil sie so persönlich und auch emotional sind. Wie du sofort den aktuellen Bezug herstellst und hältst- beeindruckend!
Ich bin Italien-affin, liebe die verschiedenen Landschaften, die gastfreundlichen Menschen, seine Kultur, das Essen, den Wein…
PS: Als junges Mädchen wollte ich Vivaldi heiraten 🙂
Danke für diesen schönen Kommentar