Gedanken zum Jahresende 2020
τὸ λακωνίζειν ἐστιν φιλοσοφεῖν*
* (wörtlich: lakonisch** sprechen ist Philosophieren)
** lakonisch = Kurz, einfach und ohne weitere Erläuterung
Anfangs 2020 habe ich den letzten Blog-Beitrag geschrieben mit dem fast schon prophetischen Titel
Seither blieb ich in diesem Blog stumm.
Bis jetzt habe ich geschwiegen
Nein, nicht weil ich nichts zu sagen hätte. Eher weil viel zu Viele viel zu Viel gesagt haben in diesem Jahr.
Weil es eine Spaltung in unserer Gesellschaft gegeben hat, zwischen denen, die recht haben und den andern, die auch recht haben wollen.
Eine Spaltung zwischen Wahrheits-Suchenden und solchen, die sie gefunden haben und Jenen, welche sie für sich gepachtet haben.
Es gibt Menschen, die alles glauben und es gibt Menschen, die alles wissen und dann gibt es noch die, die glauben, alles zu wissen und die, die nicht wissen, was sie glauben sollen.
Die Wahrheit
Was Wahrheit sei, ist ein grosses philosophisches Thema.
Ich versuche eine vereinfachte Darstellung eines komplexen Zusammenhangs darzustellen.
Wenn ich sage:
“Mein Hund ist gefährlich”
ist das nicht unbedingt die Wahrheit, denn ich verknüpfe zwei Aussagen miteinander.
Die erste ist wahr: “Das ist mein Hund. ”
Die Aussage dass er gefährlich sei, kann falsch, relativ oder wahr sein. Die Gefährlichkeit meines Hundes ist nicht immer gegeben. Für mich selbst stellt der Hund wohl keine Gefahr dar, eventuell aber für gewisse Menschen, aber nicht für alle. Eventuell beisst er kleine Hunde aber nicht grosse. Somit ist der Hund nicht generell gefährlich, sondern nur einfach ein Hund.
Die Wahrheit ist: Das ist mein Hund ¹ *
Die reine Anwesenheit oder Existenz meines Hundes stellt keine Gefahr an sich dar.
*Der Begriff “Hund” ist natürlich beliebig austauschbar
Der Umgang mit der Wahrheit
Das Höhlengleichnis vom Platon (428/427–348/347 v. Chr.)
Ich versuche mich in einer kurzen Fassung beziehungsweise Erklärung eines der wichtigsten erkenntnistheoretischen Werke der Menschheit.
Platon lässt seine Figur Sokrates folgende Geschichte seinem Schüler Glaukon erzählen:
Es gibt Menschen, die in einer Höhle gefangen gehalten werden. Durch ein Loch in der Höhlenwand kommt Licht in die Höhle. Das Licht wirft Schatten von sich bewegenden Menschen und Gegenständen auf die gegenüberliegende Höhlenwand. Wenn jemand vorbei geht, sehen die Bewohner den Schatten an der Wand vorüberziehen. Genauso sehen sie Gegenstände und Gerätschaften und auch Tiere an der Höhlenwand vorbei gehen.
Das, was die Menschen in der Höhle sehen, nehmen sie für wahr. Die Genstände und Menschen sind ihre Wahrheit und was sie sehen , ist die Realität. Daran gibt es keinerlei Zweifel, denn es ist seit Jahren so und hat sich auch niemals geändert.
Eines Tages schafft es jemand, sich zu befreien. Die Person kann die Höhle verlassen und gelangt zum ersten Mal ans Tageslicht. Das Licht blendet sie sehr, so dass die Augen schmerzen und sie erst einmal nicht hinsehen kann. Langsam gewöhnt sie sich daran. Als sie ohne Schmerzen sehen kann, erkennt sie, dass es einen Himmel und einen Erdboden gibt, dass es Menschen gibt und es gibt auch die Gegenstände, welche sie im Schattenwurf gesehen hatte und sie erkennt diese wieder. Nach längerem Staunen sieht sie, dass, das, was sie in der Höhle für wahr gehalten hatte, lediglich ein Abbild der Realität war. In Wirklichkeit gibt es Menschen, die sich frei bewegen, es gibt eine Sonne, die das Licht spendet und es gibt alle die Gerätschaften und auch die Tiere in Wirklichkeit.
Freudig kehrt diese Person zurück in die Höhle, um alles zu erzählen. Zunächst hatte sie wieder Mühe, denn in der Höhle war es sehr dunkel und sie konnte lange Zeit nichts sehen, da sich ihre Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnen mussten. Sie erzählt begeistert davon, wie schön es ausserhalb der Höhle sei und, dass in Wahrheit, das, was sie in der Höhle als Realität bezeichneten, nur ein Schatten der Wirklichkeit sei.
Die Reaktion der Gefangenen in der Höhle ist erstaunlich.
Sie waren sich einig, dass es da draussen etwas gäbe, dass das Augenlicht verderbe und Schaden anrichte, denn sie hatten erlebt, dass die Person eine Weile lang gar nichts mehr sehen konnte.
Sie wollten zunächst alles hören und wissen. Es gab auch Stimmen, die das glauben wollten jedoch mit der Angst, dass man geblendet würde. Andere waren der Meinung , dass die Person die Unwahrheit spreche, denn bislang kannten sie nur diese eine Wahrheit und die war gewiss.
So kam es zu einer Abstimmung und man hatte mehrheitlich beschlossen, dass es nur die eine Wahrheit der Höhlenbewohner geben solle. Fortan war es verboten, die Höhle zu verlassen und wer etwas anderes als die Höhlen-Wahrheit erzählen wollte, wurde gar mit dem Tode bestraft.
Wahrheit zu erkennen, nennen wir Erkenntnis. Erkenntnis erlangen wir nur, wenn wir uns trauen, Neues zu sehen und versuchen, neue Wahrheiten zu akzeptieren.
Viele haben sich deshalb gefragt, ob Wahrheit etwas Relatives ist: Kann ich wirklich mehr behaupten, als ein Satz wahr für mich ist? Diesem Relativismus liegt jedoch eine Verwechslung zugrunde:
Auch wer Wahrheit beansprucht, kann sich belehren lassen, andere Meinungen tolerieren und sich selbst nicht sicher sein.
Wahrheit und Unfehlbarkeit sind zwei ganz verschiedene Dinge, und unfehlbar bin ich auch dann nicht, wenn ich recht habe.
Ganz im Gegensatz setzt echte Toleranz die Absolutheit der Wahrheit voraus:
Nur wenn wir uns beide wirklich widersprechen, das heisst beide Wahrheit beanspruchen, obwohl nur einer recht haben kann, ist die Akzeptierung der anderen Meinung ein Eingeständnis, die Wahrheit nicht gepachtet zu haben.
¹ * mehr kann man hier nachlesen https://www.philosophie.ch/blogartikel/grosse-fragen/was-ist-wahrheit
Zum Schluss noch ein letzter berühmter philosophischer Satz
Si tacuisses, philosophus mansisses
Hättest Du geschwiegen, wärst Du Philosoph geblieben
Für das Neue Jahr 2021 wünsche ich Euch Allen
Erkenntnis!
und auch die nötige Geduld, um es zu ertragen, dass es Zeit benötigt, damit aus Erkenntnis Wahrheit wird.
Natürlich wünsche ich auch Gesundheit (ganz besonders in diesen schwierigen Zeiten) und Erfolg und Durchhaltevermögen in allen Lebenslagen
Möge 2021 uns wohlgesonnen sein!
herzlich Eure:
Corinne Heitz