Truckstop
Nach gut einer Stunde Weiterfahrt kommen wir zu einem Truckstop[1]
Einige LKW-Fahrer haben da auch angehalten. Es ist eine kleine Hütte mit Küche, zwei Tischen und ein paar Stühlen. Hinter der Theke stehen zwei junge Sikhs, sie scheinen das Lokal zu betreiben.
Vor dem Eingang ist ein riesiges Wasserfass aufgestellt, es dient der allgemeinen Körperpflege aller Besucher, da ich völlig überhitzt bin, stecke ich den ganzen Kopf in das Fass. Die Männer um uns herum lachen und sind äusserst neugierig. Sie wollen wissen, wie es denn kommt, dass zwei Frauen um diese Uhrzeit allein mit Motorrad hier in der Steppe unterwegs sein können?
Wir bekommen zu Essen und den klebrigen süssen Tee mit viel zu viel Kardamom, der verklebt mir den durstigen Mund. Wir sind umringt und jeder stellt Fragen. Eigentlich haben wir keine Lust auf die Gesellschaft und das Frage- und Antworten-Spiel aber wir machen mit. Ich bestelle Tee schwarz, ohne Zucker und mit viel Wasser, so können wir unsere Depots wieder auffüllen und sind sicher, dass das Wasser abgekocht ist.
Wir sehen, dass die LKW-Fahrer nicht nur Tee und Wasser trinken, es wird hier ganz ordentlich Schnaps ausgegeben. Es scheint auch keiner hier zu übernachten, sie machen nur Rast vor der Weiterfahrt. Ich erinnere an dieser Stelle an den Artikel über die alkoholisierten Lastwagenfahrer. Der Spiegel Artikel aus dem Jahr 1982 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14346866.html
Wir hingegen brauchen ein Bett für die Nacht.
Wir dürfen bleiben und bekommen je ein Bettgestell, das vor der Hütte steht. Man muss ich das so vorstellen: Ein Bettrahmen mit Beinen und als Unterlage sind Schnüre zu einem Netz verflochten, sodass man mit einem Schlafsack darauf liegen kann. Der Abstand zum Boden ist ganz normal, wie ein Bett eben aber darüber sehen wir den unglaublichen Sternenhimmel einer klaren Nacht in der Halbwüste. Wir verbringen die Nacht im Freien.
Ich habe im Internet ein Bild dazu gefunden.
Es kühlt nicht wirklich ab, sodass wir auf den Schlafsäcken in unseren Kleidern liegen. Völlig erschöpft finden wir nur einen leichten Schlaf. Wir “schlafen” hier dicht an der Strasse, sind umgeben von etlichen Männern und ab und zu hält auch mitten in der Nacht ein LKW, andere rasen mit voller Lautstärke und oft hupend direkt an uns vorbei.
Liebe Leser-innen, bitte stellt euch diese Hütte nicht wild romantisch vor. Ich habe versucht Bilder von solchen Truckstops zu finden, was leider nicht geklappt hat. Es ist alles sehr schmuddelig oder gar dreckig, das Essen wird auf Kerosinkochern zubereitet, das Wasser, welches man zum Essen dazu bekommt ist unhygienisch, voller Keime. Hier gibt es keine Toiletten und jeder, der hier kocht, wischt sich auch mit einer Hand den Hintern ab. Es stinkt nach Benzin, Diesel und Kerosin, es ist heiss und stickig, es liegt ein Geruch von Kadaver und Urin in der Luft. Nur die Dunkelheit vermag das zu verbergen, was wir tagsüber lieber nicht sehen würden.
Unser Motel ist ganz anders aber ähnlich wie in diesem kleinen Filmausschnitt, dafür hat es aber weniger Autos im Jahr 1983
Die Nacht ist kurz aber wir sind dankbar für das Essen und Schlafgelegenheit. Früh morgens gibt es den üblichen Klebtee.
Die Übernachtung ist kostenlos, wir zahlen ein paar Rupien für das Essen und kaufen Wasserflaschen ein. Wir erkundigen uns, wie weit es nach Ahmedabad sei und ob uns erneut die Wüste erwarten würde. Wir sind wohl in der Nähe von Rajpur, Madhya Pradesh und werden bestimmt zwei Tagesetappen fahren müssen, um an unser nächstes Ziel zu gelangen.
Ich habe das mal auf Google Maps dargestellt, damit man sich ein Bild unserer Irrfahrt und und der Dimensionen machen kann. Die Kreuzung, die wir verpasst hatten, befindet sich ziemlich genau in der Mitte zwischen Dhule und Indore. Mit dem Motorrad und den schlechten Strassenverhältnissen fahren wir maximal 40 km bis 50 / Std, selbst Google Maps berechnet die Fahrzeiten mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km / Std. für Autos. Für die berechnete Strecke von Rajpur bis Ahmedabad werden wir zwei Tage unterwegs sein, zumal wir der alltäglichen extremen Hitze ausgesetzt sind.
Weiterfahrt
Wir sind schon sehr früh unterwegs. Obwohl weit und breit keine Häuser oder Orte zu sehen sind, begegnen wir der morgendlichen Fäkal-Karawane von Männern und Frauen, die in die Felder gehen.
Es bleibt heiss und , die Landschaft ist karg und steinig.
Kommt man an eine Kreuzung oder an eine Bahnschranke so sieht man weisse Sockel entweder direkt an der Strasse oder nahe der Bahngeleise. Wie wir bald einmal herausgefunden hatten, sind dies Kremations-Sockel. Sie sind überall dort, wo man umkommen könnte. Die Toten werden sodann sofort verbrannt. Es ist unsere absolute Horrorvorstellung, in einen Unfall verwickelt zu sein, zu überleben, für tot erklärt zu werden und lebend auf dem Scheiterhaufen zu landen!
(Weil hier Kinder mitlesen, habe ich bewusst kein Video hier rein-gesetzt, welches so eine Verbrennung zeigt.)
Wir kommen irgendwann ich Ahemdabad an, ich kann mich daran nicht mehr erinnern.
Somit ist wohl nichts Schlimmes mehr passiert.
[1] In unserem Reiseführer wurden diese “Raststätten” Sikh-Motels genannt, weil meist Sikhs sie führen und weil die meisten LKW-Fahrer Sikhs sind. Unter diesem Begriff findet man im Internet nichts mehr, vielleicht gilt er als rassistisch.
Wir haben die Sikhs auf unserer Reise immer geschätzt, sie hatten etwas Friedliches in ihrem Wesen. Viele Sikhs sind sehr gepflegt, gebildet und gehören zur Elite des Landes. Sikhs erkennt man an ihrem kunstvoll geflochtenen Turban unter welchem sie ihre langen und gepflegten Haare verbergen, welche sie zeitlebens nicht abschneiden.
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Den ganzen Reisebericht beginnen hier: Teil 1
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Es gibt weiß Gott schönere Reiseziele!